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Bezugsquellen für „Bamberger Rettich“:

Da es sich hierbei um ein Saisonprodukt handelt, kann die jederzeitige Verfügbarkeit nicht garantiert werden.
Bitte fragen Sie in der Gärtnerei nach.

Der Bamberger Rettich – „Reddich“

Der Rettich hat in Bamberg eine große Tradition, die zum Glück noch nicht ganz erloschen ist. Im 19. Jahrhundert in vielfältigen Formen hauptsächlich für den Eigenbedarf angebaut, entwickelte er sich im 20. Jahrhundert in der weißen langgezogenen Kegelform zu einem wichtigen Verkaufsartikel der Erwerbsgärtner. In der Reihenfolge der am meisten angebauten Bamberger Gemüsepflanzen belegte er 1967 den vierten, 1978 den zweiten und 1984 den dritten Platz.

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Seither ging der Rettichanbau stetig zurück, ohne dass der Bamberger Rettich sein Ansehen als Leitprodukt der Gärtnerei verloren hat. Für ihre Rettiche sind die Bamberger Gärtner immer noch weithin bekannt. Der Ruf der besonderen Delikatesse ist aber von der ursprünglichen alten Lokalsorte des Bamberger Rettichs auf die in Bamberg angebauten Rettiche unterschiedlicher Sorten allgemein übergegangen. Man weiß kaum mehr, dass es die alte Lokalsorte tatsächlich noch gibt, und dass sie sogar in mehreren Haussorten einzelner Gärtnereien bis heute gepflegt wird.

Verlorene Rettich-Vielfalt

Über die Bedeutung des Rettichs in der Palette der Gärtnerprodukte gibt es vor dem Jahr 1800 keine verwertbaren Nachrichten. Er dürfte mit einiger Sicherheit angebaut worden sein, da er in Deutschland seit der Römerzeit bekannt war und vor allem im süddeutschen Raum zur Alltagskost der einfachen Leute gehörte. Den um 1800 einsetzenden schriftlichen Berichten über das Bamberger Gärtnerwesen ist zu entnehmen, dass der Rettichanbau im 19. Jahrhundert einen bedeutenden Aufschwung nahm. J. E. v. Reider berichtet 1821 in seinem Buch „Bambergs Gartenbau als die höchste Kultur des Grund und Bodens in Deutschland“, dass man den Rettich nicht in eigene Rettichfelder sät, sondern in die durch Ernte frei gewordenen Lücken oder in die Zwischenreihen anderer Kulturen.

Zum Beispiel in neu angelegte Süßholzfelder (Süßholz wird erst im vierten Jahr geerntet) oder zwischen Oberkohlrabi (Bezeichnung der Bamberger Gärtner für den Kohlrabi im Unterschied zur Kohlrübe, die Unterkohlrabi genannt wird) und Wirsing. Und zwar an geschützten Orten wie in Süßholzpflanzungen im Mai, im ungeschützten freien Land im Juni. Aus dem Anbau weniger Sorten, vor allem weißer runder Sommerrettiche, als „Lückenbüßer“ entwickelte sich schnell eine Rettichkultur mit großer Sortenvielfalt. Den Schriftsteller Ludwig Storch veranlasst sie 1858 in einem Artikel in der Zeitschrift „Die Gartenlaube“ mit dem Titel „Land und Leute, Nr. 12. Die Bamberger Gärtner“ zu der etwas verwunderten Bemerkung, Rettiche und Radieschen gälten hier in Bamberg für wahre Delikatessen. So etwas hatte er dem einfach und robust gearteten Rettich offenbar nicht zugetraut. Rettiche gab es in den Farben grün, blau, rot-rosa, weiß, braun und schwarz und in vielen Formen von länglich bis rundlich. Ob es Bamberger Haussorten waren, wissen wir nicht.

Der Bamberger weiße Rettich

Der Anbau der in Bamberg äußerst beliebten Rettiche hatte um 1900 einen ersten Höhepunkt erreicht. Die Nachfrage war sowohl am Ort als auch außerhalb sehr stark. Sie dürfte sich aber nicht so sehr auf die bunte Rettichvielfalt bezogen haben, die wir heute so beeindruckend finden, sondern auf die weißen langen Rettiche. In einer Sortenempfehlung für die Bamberger Gärtner aus dem Jahr 1949 werden jedenfalls nur noch diese Rettiche aufgeführt. Neben Lokalsorten wie Regensburger, Bamberger, Münchner, Würzburger, Stuttgarter und anderen taucht hier erstmals ein „Bamberger weißer Frührettich“ auf. Genau dieser ist es, der den Ruhm des Bamberger Rettichs nach dem zweiten Weltkrieg begründet hat und aus der „Boomzeit“ des Rettichs zwischen 1950 und 1990 und seiner nachfolgenden Krisenperiode bis heute als alte Lokalsorte übrig geblieben ist.

Die Bamberger Haussorten

Die Rettichpflanze hat die Eigenart, sich schnell und gründlich auf die örtlichen Gegebenheiten ihres Standortes einzustellen. Da sie in den gemäßigten Zonen aller Kontinente kultiviert wird, entstand aus der hohen Anpassungsfähigkeit eine große Formenvielfalt und eine kaum überschaubare Menge lokaler Sorten. Die trennen sich ihrerseits wieder in eine Vielzahl von Haussorten, weil die Pflanze schon auf wenig voneinander entfernten Anbauflächen ausschließlich an diese Flächen gebundene Eigenheiten entwickelt. Die Abweichungen zu den Nachbarstandorten sind gering, aber sie sind da. Es überrascht deshalb nicht, wenn der Forchheimer Saatgutzüchter Hoffmann, der sich viel mit den Bamberger Lokalsorten beschäftigt hat, von verschiedenen Typen eines „Spiegelgraben-Rettichs“ berichtet, also des Rettichs von Gärtnereien, die in enger Nachbarschaft an der „Spiegelgraben“ genannten Straße lagen.

Wenn vom Bamberger Rettich als Lokalsorte gesprochen wird, ist der Begriff als Gruppenbezeichnung für eine Reihe von lokalen Haussorten zu verstehen. Über ihre Eigenheiten, Übereinstimmungen und Unterschiede herrscht keine Einigkeit. Die Einschätzungen, die man von den Gärtnern erhalten kann, reichen von „ziemlich unterschiedlich“ bis „alle sehr ähnlich“. Manche bezweifeln, dass es den Bamberger Rettich in der Gegenwart noch gibt, andere versichern, dass sie die Sorte ihrer Familie weiter kultivieren, wie es früher jeder Gärtner getan hat. Wie viele Haussorten wir noch haben, und wie stark ihre Anzahl zurückgegangen ist, kann nicht mit Sicherheit festgestellt werden. Erhalten werden sollten die letzten verbliebenen – es sind derzeit sieben – auf jeden Fall alle.

Kostbarer Besitz: Rettichsaat

Auf die eigene Rettichsorte war jeder Gärtner stolz und hütete das Saatgut eifersüchtig. Sprüche wie „deä Sooma bleibt im Haus“ oder „mei Tochter kannst hom, mein Reddich ned“ kennen die Gärtner noch gut und handeln auch danach. Das erleichtert die Erforschung der alten Haussorten nicht gerade. Erschwert wird sie weiterhin durch den ständigen natürlichen Wandel der Haussorten. Außerdem fand trotz aller gegenteiligen Behauptungen auch ein Austausch über die Grenzen der Familienbetriebe hinweg statt. Saatgut wurde getauscht, vererbt und verschenkt oder auf andere Art weitergegeben. Besonders gelungene Rettiche des ungeliebten Nachbarn hat man auch schon mal durch Strohmänner auf dem Markt kaufen lassen, zuhause eingepflanzt und zum Blühen gebracht.

Bamberger Rettich – der erste im Frühjahr

Der Bamberger Rettich hebt sich von anderen Sorten dadurch ab, dass die Pflanzen mehr Kälte vertragen. Er kann deshalb sehr früh gesät werden, im Treibhaus kommt er mit ca. 3 ºC geringeren Temperaturen aus. Er „schosst“ weniger, das heißt er bildet in sehr viel geringerem Maß Blütenstände als Reaktion auf Kältestress aus. Die Sorte ist so die erste Wahl für den Anbau im zeitigen Frühjahr, weil sie dann im Mai bis zu zwei Wochen früher auf den Markt kommen kann und hohe Preise erzielt. Im Sommer und Herbst kann sie diesen Vorteil nicht ausspielen und wird durch andere Sorten ersetzt, mit denen man die Nachteile des Bamberger Rettichs umgehen will. Negativ schlägt für ihn zu Buch, dass er leichter „pelzig“, also weich wie ein trockener Schwamm wird und gegen Schwarzfäule anfälliger ist als andere Sorten. Diesen Risiken weichen die Gärtner aus verständlichen Gründen aus.

Gesundheitskost und Schlankmacher

Von Anfang an wurde der Rettich als Gemüse- und Heilpflanze gleichermaßen genutzt. In ihren Inhaltsstoffen unterscheiden sich die Rettichsorten, auch der weiße Sommer- und der schwarze Winterrettich, so gut wie gar nicht. Neben sehr viel Vitamin C enthält die Rettichwurzel die Vitamine A, B1 und B2 sowie reichlich Kalium, Phosphor und andere Spurenelemente. Der Rettich regt die Leber- und Gallenfunktion an und wirkt vorbeugend gegen Gallen-, Nieren- und Blasensteine. Er entwässert und entgiftet den Körper, verbessert die Darmflora und unterstützt die Darmgesundheit. Für seine pilz- und keimhemmende Wirkung sind in geringen Mengen vorhandene, stark antibakteriell wirkende Verbindungen mit Senfölen, sogenannte Senfölglycoside verantwortlich, auf die Senföle selbst geht der charakteristische scharfe Geschmack zurück.

Der robuste, lange lagerfähige Winterrettich schützte mit seinem hohen Vitamin C –Gehalt zuverlässig vor der früher gefürchteten Vitaminmangelkrankheit Skorbut, die nicht nur Schiffsmannschaften heimsuchte, sondern auch im Binnenland weit verbreitet war. Aus den vielen Anwendungen des Rettichs in der Volksheilkunde, hat sein Einsatz als Schleim lösendes und entzündungshemmendes Hausmittel gegen Erkältungen bis heute überdauert. Bekannt ist der Hustensaft, den auch Bamberger Gärtnerfamilien noch selbst hergestellt haben. Dafür nimmt man den meist kugelrunden schwarzen Winterrettich, höhlt ihn aus, macht unten ein kleines Loch hinein, füllt ihn mit Kandiszucker und klemmt ihn in den oberen Rand eines Gefäßes. Was aus dem Rettich heraustropft, ist der fertige Hustensaft.

Der allgemeinen Volksgesundheit kommt eine weitere Eigenschaft des Rettichs zugute, für die ihm der kalorienbewusste Zeitgenosse unserer fettleibigen Zivilisation besonders dankt: Der Rettich ist wegen seines hohen Wassergehaltes von rund 94 % und seines geringen Gehalts an Kohlehydraten (3,5-4 %) eine ausgesprochene Schlankheitsdiät.

Köstlich und herzhaft scharf

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Der eigentliche Vorzug des Bamberger Rettichs liegt jedoch in seinem Geschmack. Er hat ein intensives Aroma eigener Prägung und eine kräftige, aber harmonisch eingebundene Schärfe. Geschmacklich ist er den Sorten, in die der Japan-Rettich eingekreuzt wurde, und auch den modernen Hybrid-Sorten weit überlegen. Darüber herrscht bei den Bamberger Gärtnern Einigkeit. Eine Vergleichsverkostung verschiedener im „Bamberger Sortengarten“ 2012 nebeneinander angebauter Rettiche hat diese Überlegenheit eindrucksvoll bestätigt. Dabei stellten sich bei ähnlicher Schärfe deutliche Unterschiede in den Aromen zwischen den einzelnen Bamberger Haussorten heraus.

Geringe Unterschiede im Aussehen

Unterschiede in den Haussorten gab und gibt es auch im Aussehen. Die Angaben schwanken zwischen reinweißer glatter und dunkler rauer Haut. Manche Haussorten sollen viele Seitenwurzeln gehabt haben und waren deshalb schwer zu ernten und schlecht zu waschen. Die Rettiche haben auch unterschiedliche Dicke, während ihre Länge von 30-35 cm und ihre nach unten spitz zulaufende Form eher gemeinsame Kennzeichen sind. Für den Rettichfreund ist es nicht möglich, einen Rettich der alten lokalen Bamberger Sorte beim Einkauf eindeutig zu identifizieren. Er wird den Händler oder den Erzeuger fragen und ihm vertrauen müssen.

Der Rettichkonsum geht zurück

Allgemein wird Rettich in den letzten Jahrzehnten immer weniger konsumiert. Er liegt nicht mehr so häufig wie früher auf dem Brotzeitteller. Als erfrischende Rohkost zum Wurst- oder Käsebrot haben ihn Tomaten, Gurken und Paprika weitgehend verdrängt. Speziell die Bamberger Rettichesser sind nach Meinung vieler Bamberger Gärtner zusätzlich „vergrault“ worden, weil ihnen zu oft fader, wenig geschmacksintensiver Rettich ohne die typische, nicht überstarke, aber doch ausgeprägte Schärfe der alten Bamberger Sorte vorgesetzt wurde. Diese Einschätzung trifft für eingefleischte Liebhaber des scharfen, des „beißenden“ Rettichs sicher zu. Die große Menge der Verbraucher bevorzugt jedoch längst das sanftere Gemüse und greift, wenn überhaupt noch zu einem Rettich, dann zu einem möglichst „zahnlosen“.

Rettich erfordert einen gewissen Aufwand bei der Zubereitung. Man braucht etwas Zeit und eine gewisse Fingerfertigkeit beim Schneiden, muss wohl dosiert salzen und noch einige Minuten geduldig warten, bis er Wasser gezogen hat. Geschält muss er meist auch noch werden. Warum nicht gleich Radieschen nehmen? Die sind schneller und einfacher zu handhaben und verursachen nach dem Verzehr weniger das zunehmend als unangenehm empfundene Aufstoßen und die nicht allzu starken, aber unvermeidlichen Blähungen. Alles in allem ist der scharfe Rettich aus der Mode gekommen. Von seiner Domäne am sommerlichen Brotzeit- und Abendbrottisch wurde er vertrieben, und in anderen Gebieten des kulinarischen Reiches konnte er nicht heimisch werden.

Seine Vorzüge ins rechte Licht rücken

Niemand muss es wundern, wenn viele Gärtner die persönliche Verbindung zu „ihrer“ Rettichsorte gelockert haben. Sie bauen sie nur noch als Frührettich an, den sie zu einem guten Preis verkaufen können, solange die handelsüblichen kälteempfindlichen Sorten noch nicht gereift sind. Nur für diese kurze Zeitspanne darf er noch willkommene Dienste leisten. Den Rest der Saison bis in den Herbst hinein beherrschen neuere Züchtungen, allen voran der in Kitzinger gezüchtet „Rex“, der in seiner Schärfe, nicht aber im Geschmack dem Bamberger nahe kommt.

Der Bamberger Rettich verdankt sein Überleben also einem Umstand, der mit seinen geschmacklichen Qualitäten nichts zu tun hat. Unter Kennern und Liebhabern besitzt er natürlich seine treue Fangemeinde – und die Gärtner selbst gehören alle dazu -, aber sie ist zu klein, um ihn über die ersten Wochen der Saison hinaus auf dem Markt zu halten. Um Marktanteile zurück zu gewinnen, müsste er den ganzen Sommer über angebaut und bis in den Herbst angeboten werden. Gleichzeitig müssten die Vorzüge des originalen Bambergers in seiner Heimatstadt einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht werden. Dies wird nicht möglich sein, ohne den Wert des Rettichs als Lebensmittel überhaupt und als regionale Frische-Spezialität im besonderen wieder ins rechte Licht zu rücken.

Weiterlesen: „Der Bamberger Rettich in der Küche“

Autor: Georg Willibald Lang

Auszug aus: „Sortenbeschreibung der Gemüsesorten der Bamberger Gärtnerstadt“, ausgearbeitet im Auftrag des „Zentrums Welterbe Bamberg“ (ZWB) im Rahmen des Projekts „Urbaner Gartenbau Bamberg“, Bamberg 2013