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Bezugsquellen für Bamberger Spitz-Wirsing:

Da es sich hierbei um ein Saisonprodukt handelt, kann die jederzeitige Verfügbarkeit nicht garantiert werden.
Bitte fragen Sie in der Gärtnerei nach.

Der Bamberger Wirsing – „Wersching“

Wer auf dem Markt nicht einfach Wirsing verlangt, sondern „Bambercher Wersching“, der wird mit jener Hochachtung behandelt, die dem offensichtlichen Kenner der lokalen Gärtnertradition und der Bamberger kulinarischen Kultur gebührt: „Aha“, bekommt er zu hören, „den Bamberger wollen Sie, den feinen“. Köche und Hausfrauen schätzen den lockeren, im Querschnitt herz- bis eiförmigen, manchmal auch längs-ovalen Wirsingkopf mit den zarten Blättern und dem feinen Geschmack.

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Die alte Bamberger Wirsingsorte heißt für gewöhnlich einfach „Bamberger Wirsing“. Man sollte aber die Bezeichnung „Spitzwirsing“ oder „Bamberger Spitzwirsing“ zur besseren Unterscheidung der alten Bamberger Haussorten von den rundköpfigen Zuchtsorten beibehalten, auch wenn die Köpfe recht unterschiedlich spitze Formen aufweisen und vielen eine deutlich ausgeprägte Spitze sogar fehlt.

Ein richtiger Bamberger

Wie lange es den Bamberger Spitzwirsing schon gibt, lässt sich nicht mehr genau feststellen. Beschreibungen des Bamberger Gemüsebaues setzen erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein und berichten über den damaligen Bamberger Wirsing, dass er schon immer einen bedeutenden Platz im Sortiment der heimischen Gartenbaubetriebe hatte. Die hier erzeugten Wirsingköpfe sollen ob ihrer Größe und Zartheit höchstes Erstaunen hervorgerufen haben, schreibt J. E. von Reider 1821 in seinem Buch „Bambergs Gartenbau als die höchste Kultur des Grund und Bodens in Deutschland“. Ob es sich bereits um den heute bekannten Spitzwirsing gehandelt hat, sagt er leider nicht dazu.

Für die Gärtner war der Wirsing eine gute Einkommensquelle. Auch andere Autoren bezeichnen den Bamberger Wirsing als lohnende Kultur und Haupthandelsartikel und loben ihn als lokale Spezialität von höchstem Rang. Es kann nur der Bamberger Spitzwirsing gewesen sein, den der Landwirtschaftsrat J. Kindshoven 1939 in seinem Zeitschriftenartikel über „Bamberg, die alte Gärtnerstadt“ zu den Spitzenprodukten des Gemüsebaus in der Stadt zählt. Er schreibt, „man werde kaum in Bayern einen besseren, zarteren Wirsing oder schmackhaftere Karotten, kaum so guten Sellerie und Schwarzwurzel essen wie in Bamberg“.

Das wissen die Bamberger, zumindest was den Wirsing betrifft, bis heute zu schätzen. Ihr „Wirsching“ rangiert in der Beliebtheitsskala des Kopfkohls gleich hinter dem „Weißkraut“ (Weißkohl) und dem „Blaukraut“ (Rotkohl) auf einem sehr guten dritten Platz. Sein Abstand zu den beiden Favoriten war in Bamberg immer wesentlich geringer als im übrigen Hauptverbreitungsgebiet des Kopfkohls, dem mittleren und nördlichen Westeuropa.

Eine echte Rarität

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Dem feinen, fast eleganten, nur entfernt an Kohl erinnernden Wirsingaroma und seiner Zartheit hat es der Bamberger Spitzwirsing zu verdanken, dass ihn eine große Fangemeinde am Leben hielt, als die Gemüsezüchtung ihn fallen ließ. Die Züchter entwickelten aus den alten Wirsingsorten mit großen, leichten und lockeren Köpfen den heute üblichen kompakten, dicht geschlossenen Rundkopf. Man wollte kleinere und schwerere Köpfe haben, weil sie leichter zu transportieren und besser zu lagern waren. Diese Vorteile für den Handel waren mit dem Verlust der zarten Konsistenz und des feinen Geschmacks verbunden. Die große Mehrheit der Verbraucher nahm es offenbar klaglos hin. Nach dem zweiten Weltkrieg hatte sich der Rundkopf mit den derben, stark „blasigen“ Blättern allgemein durchgesetzt. Der zarte, milde und feine Wirsinggeschmack blieb eine schöne Erinnerung, die nach und nach verblasste.

Nur in Bamberg durfte sie lebendig bleiben. Während die in den 30er Jahren noch häufig anzutreffenden spitzköpfigen Wirsingsorten seit 1950 aus den Sortenempfehlungen für den Gartenbau vollständig verschwunden waren, bauten die Bamberger Gärtner ihre althergebrachten Haussorten des Spitzwirsings für ihre Stammkunden weiter an. Die neuen Zuchtsorten, die sie an den Handel verkauften, wurden zusätzlich produziert. Diese Praxis haben sie bis heute beibehalten. Sie pflegen eine alte Sorte weiter, die in Sortenverzeichnissen nicht zu finden ist und in Genbanken nicht existiert. Selbst bei den Initiativen zur Erhaltung alter Nutzpflanzen war sie bis vor kurzem nicht bekannt. Nun wird an einer feineren systematischen Einteilung des Wirsingkohls gearbeitet, die auch Typen wie den Bamberger Wirsing oder den ihm äußerlich sehr ähnlichen Butterkohl in die Betrachtung einbezieht.

Im Sommer und im Winter zu genießen

Zu kaufen ist der lockere Wirsingkopf von der ersten Ernte im Juni bis in den Januar hinein. Die wahren Kenner warten bis zum Herbst, wissen sie doch, dass der späte Anbau intensiveren Geschmack bringt. Meist ist der Bamberger Spitzwirsing gegen Weihnachten schon ausverkauft. Würde man sich wie früher die Mühe machen, ihn „einzuschlagen“, das heißt die Wurzel mit Erde und das Grün mit Stroh zu bedecken, könnte man die Saison bis zum Ende des Winters verlängern. Davor scheuen die Bamberger Gärtner jedoch zurück, denn vom Jahreswechsel an bekommt ihr guter Wirsing dann leicht gelbe Blätter und verliert merklich an Geschmack. Ihn einzufrieren lohnt sich kaum; die Blätter bleiben zwar grün, der Geschmacksverlust wird dagegen dramatisch verschärft. Die alte Sorte ist eben ein Saisongemüse, ihr Genuss hat zeitlich festgelegte Grenzen.

Die Haussorten des Spitzwirsings

Den Bamberger Wirsing gibt es nicht als einheitlichen Typ, sondern nur in verschiedenen Ausprägungen der einzelnen Gärtnereien, die als „Haussorten“ bezeichnet werden. Sie gehen darauf zurück, dass früher jeder Gärtner seine Gemüsesamen selbst nachzog. Zur Saatgutgewinnung muss der ganze ausgereifte Kopf mit Strunk und Wurzel aus der Erde gezogen und im Keller überwintert werden. Im nächsten Jahr wird er wieder eingepflanzt und treibt einen bis zu 2½ Meter hohen stark verzweigten Blütenschaft voller gelber, wohlriechender Blüten. Im Juli können die Schoten mit den Samen geerntet werden.

Das Nachziehen eigenen Wirsingsamens kostete Zeit und Aufwand und wurde zuletzt zu einer belastenden Arbeit, die man sich nach Möglichkeit ersparte. Wie viele Haussorten wir heute noch haben, und wie stark ihre Anzahl zurück gegangen ist, wissen wir nicht genau. Weitere Nachforschungen könnten sicher noch die eine oder andere zusätzlich zu den bisher bekannten acht zu Tage fördern. Erhaltenswert sind sie auf jeden Fall alle.

Inhaltsstoffe wie anderer Kohl auch

Gemeinsames Erbe alle Varietäten des Kohls sind die Inhaltsstoffe. Aus dem relativ hohen Anteil von Vitaminen, Mineral- und Ballaststoffen ragt die große Menge an Vitamin C heraus. Senföle und Zucker bilden den typischen Geruch und Geschmack. Diese Stoffe wie auch die Nährstoffe Eiweiß, Fett und Stärke schwanken in ihren Mengen von Kohlsorte zu Kohlsorte. Die Mischung ist besonders ausgewogen im Kopfkohl, bei dem ausgeprägte Höchst- und Tiefstwerte nicht vorkommen. Spezifische Besonderheiten des Wirsings sind dabei nicht feststellbar.

An die Senföle ist Vitamin C in einer Form gebunden, dass es erst durch Erhitzen frei gesetzt werden kann. Aus diesem Grund enthält gekochter Kohl unter Umständen mehr Vitamin C als roher. Bestimmte Senfölverbindungen wirken antibiotisch und gewährleisten damit nicht nur die lange Haltbarkeit des Kohls, sondern wirken zusammen mit weiteren Inhaltsstoffen beim Menschen entzündungshemmend und beugen dem Krebs vor.

Erstaunliche Heilkraft des Kohls

Kaum jemand denkt bei diesem alltäglichsten aller Gemüse an die außerordentlichen gesundheitsfördernden Wirkungen aller Kohlvarietäten, an denen der Wirsing uneingeschränkten Anteil hat. Weitgehend vergessen sind auch die seit der Antike bekannten vielfältigen Anwendungen des Kohls in der Volksheilkunde, die mit dem Blattkohl (Grünkohl) und in späteren Zeiten mit den Blättern des Kopfkohls durchgeführt wurden. Neuere Forschungen bestätigen die Heilwirkungen dieser Pflanzenart. Wolf-Dieter Storl gibt sie in seinem 2002 veröffentlichten Buch „Bekannte und vergessene Gemüse. Heilkunde, Ethnobotanik, Rezepte (die Rezepte steuerte Paul Silas Pfyl bei) folgendermaßen an: „Äußerlich: Frische Umschläge bei Geschwüren, Phlegmonen, Brand, Röteln, Gürtelrose, schlecht heilenden Wunden, Neuralgien, Tumoren, Nagelbettentzündungen, Gebärmutterentzündung; innerlich: Kohlsaft bei Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüren, Gallenblasenentzündung“.

Der Handel mag den Spitzwirsing nicht

„Blättrig, spitz, weich, empfindlich, schlecht zu lagern – der Handel mag den Bamberger Spitzwirsing nicht“, so urteilt der Samenhändler Rudi Burger aus Kirchaich. Der Gärtner, der auf den Handel angewiesen ist, muss daraus die Konsequenzen ziehen. Nur wer ganz oder wenigstens teilweise selbst vermarktet, kann sich den Anbau der alten Sorte leisten. Sie rückt unmerklich in die Nähe der Hobbygärtnerei. Gärtnern, die den Spagat zwischen der Anhänglichkeit an ihre alte Sorte und den Anforderungen des Marktes nicht mehr bewältigen, bietet die Zuchtsorte „Resulta“ des Forchheimer Saatgutzüchters Hoffmann einen vermeintlich einfachen Ausweg. Sie steht den alten Bamberger Sorten so nahe, dass sie aus ihnen entwickelt sein könnte.

Ob das zutrifft, war beim Züchter nicht herauszufinden. Sie ist auf jeden Fall besser zu vermarkten, weil sie gleichmäßiger wächst und die „gute, feste, nicht zu lockere Kopfbildung“ aufweist, die ein Wirsing heutzutage haben muss. Die geschmackliche Qualität und die Zartheit des Bamberger Spitzwirsings erreicht sie nicht. Dennoch wird sie von den Käufern als brauchbarer Ersatz akzeptiert und verschärft so die prekäre Lage der echten alte Sorte.

Die Vorzüge dieses Spitzenprodukts herausstellen

Ganz allgemein ist der Verbrauch von Kopfkohl rückläufig. Der Wirsing ist davon besonders betroffen, denn viele jüngere Haushalte kennen sich mit seiner Verwendung in der Küche nicht mehr aus und schrecken vor der Größe des Gemüses zurück. Die Bamberger Haussorten wirken besonders entmutigend, weil sie ein Mehrfaches an Umfang im Vergleich zu runden Köpfen bieten. Dass ihr Gewicht dafür wesentlich geringer ist, wird leicht übersehen. Schließlich wird die traditionelle Bamberger Küche, in der das Wirsinggemüse seinen festen Platz hat, nicht mehr so häufig praktiziert. Ein Wirsinggemüse ordentlich zuzubereiten kostet Arbeit, für die immer häufiger die nötige Zeit fehlt. Der Wirsing allgemein rutscht in der Rangfolge des Kopfkohlverbrauchs auf seinem dritten Platz hinter dem Weißkraut und dem Blaukraut immer weiter zurück.

Für den Bamberger Wirsing müsste dieser Trend nicht bedrohlich sein, wenn es gelingt, seine Vorzüge durch Öffentlichkeitsarbeit und Werbung bekannter zu machen und den regionalen Markt und den nationalen Feinschmeckermarkt für ihn zu öffnen. Der Bamberger Wirsing hat das Potenzial, ähnlich wie die alte Kartoffelsorte Bamberger Hörnla zu einem Spitzenprodukt für die feine Küche zu werden.

Weiterlesen:  Der Bamberger Wirsing in der Küche

Autor: Georg Willibald Lang
Auszug aus: „Sortenbeschreibung der Gemüsesorten der Bamberger Gärtnerstadt“, ausgearbeitet im Auftrag des „Zentrums Welterbe Bamberg“ (ZWB) im Rahmen des Projekts „Urbaner Gartenbau Bamberg“, Bamberg 2013